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Aktuelles

04.11.2019

Neue Museen braucht das Land?

von Kristina Meyer und Bernd Rother

Achtzig Jahre ist es her, dass mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen der europäische Teil des Zweiten Weltkriegs begann – der Auftakt zu einem Vernichtungskrieg gegen Millionen von Menschen, die aus Sicht der Nationalsozialisten als „minderwertig“ galten. Die Verbrechen, die Wehrmacht, SS und Polizeibataillone in den ersten Wochen und Monaten nach dem Einmarsch in Polen begingen, sind im historischen Wissen der Deutschen kaum präsent. Entsprechende Befürchtungen, der runde Jahrestag des Kriegsbeginns würde nicht genügend Aufmerksamkeit und Würdigung erfahren, haben sich jedoch nicht bestätigt: Erneut bewies Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein feines Gespür für glaubwürdige Gesten und Worte auf historischem Terrain, als er mit seinem polnischen Amtskollegen am 1. September die Kleinstadt Wielun besuchte – das erste und doch bis heute kaum bekannte Ziel deutscher Bombenangriffe auf das Nachbarland.

Bereits kurz vor Steinmeiers Polenreise hatte die Idee eines „Denkmals für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939-1945“ für viel Diskussionsstoff gesorgt – eine parlamentarische Initiative, die Ende August bereits von 240 Bundestagsabgeordneten unterstützt wurde und inzwischen vermutlich eine Mehrheit finden würde. Gegen die Idee wurden aber umgehend auch Einwände laut: Zum einen monieren Kritiker, dass ein auf Polen beschränktes Denkmal einer Nationalisierung des Gedenkens und Geschichtsbewusstseins Vorschub leisten und zudem die berechtigte Forderung nach ebensolchen Denkmälern für andere Staaten und Nationen nach sich ziehen würde. Zum anderen könne ein Denkmal allein kaum zum Nachdenken anregen, geschweige denn das Wissen über die in Polen verübten Verbrechen mehren; daher sei ein Denkmal nur dann sinnvoll, wenn es mit einem Ort der Information und Dokumentation verknüpft werde.

So regte Norbert Frei kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“ ein „Museum des Zweiten Weltkriegs“ an, das umfassend über den gesamten deutschen Vernichtungskrieg informieren soll. Der von ihm vorgeschlagene Ort – das brachliegende Grundstück um die Ruinenreste des einstigen Anhalter Bahnhofs – erweist sich jedoch als hart umkämpftes Gelände, gibt es doch bereits eine andere Museumsinitiative, die diesen Ort ins Auge gefasst hat. Eine Gruppe um die Schriftstellerin Herta Müller und den Museologen Christoph Stölzl möchte dort ein vorwiegend privat finanziertes Exilmuseum errichten und hat in Altbundespräsident Joachim Gauck einen prominenten Schirmherrn gefunden. Die Wahl des Ortes begründet die Gruppe damit, dass viele NS-Gegner vom Anhalter Bahnhof aus ihre Reise ins Exil antraten. Aber auch diese Initiative weist Begrenzungen und Leerstellen auf: Nach den bisher bekannten Plänen soll sich das Museum auf exilierte Künstler und Intellektuelle konzentrieren – politische Gegner, die vor den Nationalsozialisten flohen, werden in der Broschüre der Initiator*innen nur am Rande erwähnt.

Blickt man auf die Vielzahl aktueller Museumsinitiativen, scheint sich die Gegend um den Anhalter Bahnhof zu einem Knotenpunkt der institutionalisierten Erinnerung an die Opfer der NS-Diktatur, den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen zu entwickeln: Das Denkmal für die polnischen Opfer soll auf dem Askanischen Platz errichtet werden, also nur durch eine Straßenkreuzung von der Ruine des Bahnhofs getrennt. Gleich gegenüber, an der Ecke Stresemannstraße/Anhalter Straße, errichtet der Bund gerade das „Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. 500 Meter nach Norden steht die „Topographie des Terrors“, 500 Meter nach Osten der Checkpoint Charlie, wo perspektivisch ein Museum des Kalten Krieges Platz finden soll. Hinzu kommt eine weitere Initiative des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und der Berliner Senatorin Ramona Pop (B90/Die Grünen), die für die Errichtung eines Einwanderungsmuseums plädieren.

In Anbetracht dieser Fülle von Initiativen und Ideen ist ein Austausch zwischen Politik, Geschichtswissenschaft und Gedenkstättenpraxis über die Zukunft der zeithistorischen Museumslandschaft in Berlin jetzt dringend geboten. Es liegt nun an Monika Grütters und Klaus Lederer, die Vertreter*innen aller Initiativen an einen Tisch zu bringen. Anders als in den achtziger Jahren, als im Bundestag und in Expertenkommissionen denkbar hart um die Pläne Helmut Kohls für das Bonner Haus der Geschichte, das Deutsche Historische Museum und ein Mahnmal für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ gerungen wurde, ließe sich heute unter den Akteuren der demokratischen Parteien gewiss leichter ein Konsens darüber erzielen, welche bislang vernachlässigten Dimensionen der deutschen Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts in welcher Form und an welchem Ort musealisiert werden sollten – und dies in klarer Abgrenzung zu den geschichtspolitischen Rückwärtsbewegungen und Entlastungssehnsüchten der AfD. Gesucht wird ein Museums- und Gedenkkonzept, das die zahlreichen Initiativen inhaltlich und baulich dort produktiv zusammenbindet, wo es sinnvoll erscheint. Dabei soll und darf es nicht um eine Vermengung oder Gleichsetzung verschiedener Verbrechen und Leiderfahrungen des Zweiten Weltkriegs gehen. Ziel muss ein Bildungs- und Gedenkangebot sein, mit dem das Wissen über und das Bewusstsein für die vielfach miteinander verwobenen Verbrechen und Konsequenzen jenes Krieges erweitert wird, der im September 1939 mit dem Angriff deutscher Truppen auf Wielun begann.

Kristina Meyer und Bernd Rother sind Sprecherin und Sprecher des Geschichtsforums der SPD, das Anfang des Jahres ins Leben gerufen wurde. Meyer arbeitet an der Universität Jena, Rother bei der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.